Apuleius' Apologie: ein Meisterwerk der zweiten Sophistik*

Von RUDOLF HELM

Das Altertum 1(1955) 86-108

Apuleius wurde, nachdem er auf seinen Wanderungen nach Oea, dem heutigen Tripolis, in Nordafrika gelangt war und sich dort durch Fügung einer Reihe von Zufällen mit Pudentilla vermählt hatte, auf Grund Von allerlei Intrigen beschuldigt, daß er diese sehr vermögende Witwe nur mit Hilfe magischer Künste gewonnen habe. Dämonen- und Gespensterfurcht sowie Hexenwahn griffen ja in jenen Jahrhunderten mehr und mehr um sich. So war es möglich, daß der hochangesehene Redner wegen Zauberei in Anklagezustand versetzt wurde. Die Anklage, die wegen der auf Zauberei gesetzten Todesstrafe für den Angeklagten nicht ungefährlich war, ging von seinem jüngeren Stiefsohn Pudens und dessen Oheim Ämilianus aus, der als voraussichtlicher Erbe des schwächlichen Pudens nach dem Tode von dessen älterem Bruder Pontianus eigene Interessen dabei verfolgte, und des Pontianus einstiger Schwiegervater Herennius Rufinus wirkte dabei als treibende Kraft mit. Der Prozeß fand im Jahre 158 zu Sabrata (einer Küstenstadt westlich von Tripolis) vor dem Richterstuhl des philosophisch gebildeten Claudius Maximus statt, und vertreten wurde die klagende Partei durch den Advokaten Tannonius Pudens. Die Rede, mit welcher sich der Beschuldigte verteidigte und der man allerdings nichts von seiner gefährlichen Situation anmerkt, erweckt nicht nur durch die religions- und kulturhistorischen Tatsachen, die sich in ihr spiegeln, ein besonderes Interesse, zeichnet sich auch nicht nur durch die geschickte Beweisfährung aus, sondern ist auch ein Musterbeispiel der zweiten Sophistik auf lateinischem Boden.

Diese Nachfolgerin der Sophistik des fünften Jahrhunderts war es, die der Literatur der Kaiserzeit ihr formales Gepräge gegeben hat. In zahlreichen Unterrichtskursen und Wandervorträgen wirkte sie auf ein engeres und weiteres Publikum. Erfüllt von der Gelehrsamkeit vergangener Zeiten, aber mehr noch gehoben durch den Besitz sämtlicher Kunstmittel der geschmückten Rede, übten die Sophisten neben der Unterweisung, die sie erteilten, durch ihre völlig theatralisch vorgetragenen Prunkreden und Ansprachen bei festlichen Anlässen einen unglaublichen Einfluß aus und erfreuten sich des höchsten Ansehens. Dabei waren die Themen, die sie wählten, oft aus der Geschichte längst verflossener Jahrhunderte genommen und ließen die alte Herrlichkeit und die Erinnerung an Marathon, Salamis, Platää vor den entarteten Enkeln aufleben, oder sie griffen etwas aus der Mythologie heraus, wenn etwa besprochen wurde, ob Agamemnon Iphigenie opfern solle, oder im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung Thersites gepriesen und Penelope getadelt wurde. Gesuchte Rechtsstreitigkeiten fingierter Art, scheinbar dem Leben entnommen, aber auch solche aus der Vergangenheit, wurden behandelt, wie wenn erörtert wurde, ob Pythagoras mit Recht als Barbar von den eleusinischen Mysterien ausgeschlossen werden müsse, weil er ja die Seele des Troers Euphorbos besaß. Lukian spottet (rhet. praec. 18): "Wenn man über einen Übeltäter oder Ehebrecher in Athen zu reden hat, muß man von den Verhältnissen in Indien und Ekbatana sprechen. Unter allen Umständen muß Marathon und Kynaigeiros vorkommen, ohne die es nicht geht. Und immer muß der Athos befahren und der Hellespont beschritten werden, auch die Sonne von den Geschossen der Meder verdunkelt werden, muß Xerxes flüchten, muß Leonidas bewundert und die Inschrift des Othryades vorgelesen werden, ebenso muß Salamis, Artemision und Platää immer wieder Erwähnung finden." Ja, es wird auch empfohlen, um bei der Menge rechten Eindruck zu machen, mit Ilion oder gar mit Deukalion und Pyrrha zu beginnen. Neben diesen Stoffen kamen schließlich auch ganz minderwertige Dinge heran, an deren Verherrlichung man seine Meisterschaft bewähren konnte, Themen, wie sie früher schon die alten Sophisten sich vorgenommen hatten, wenn sie nicht nur auf das Salz, sondern auch auf Mäuse, Mücken, Fieber, Glatze und dgl. Lobreden hielten.

Von Polemon in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts besitzen wir noch zwei Deklamationen, in denen die Väter der Marathonkämpfer Kynaigeiros und Kallimachos sich um die Ehre streiten, die Gedächtnisrede für die Gefallenen zu halten. Der berühmte Herodes Atticus, hochgefeiert und geehrt, schon wegen seiner durch seinen Reichtum ermöglichten großen Freigebigkeit, im Jahre 143 Konsul in Rom, ist jetzt für uns nur mit einer Rede vertreten, aber auch sie ist bezeichnend genug, da der Gegenstand einer politischen Rede des Thrasymachos für die Larissäer entlehnt und mit einer Frage längst vergangener Zeiten verknüpft ist. Dagegen liegt eine große Anzahl von sorgfältig gefeilten Reden des Aelius Aristides von Smyrna vor, zum Teil Übungsreden aus der älteren Geschichte, etwa über ein Bündnis Athens mit Theben gegen König Philipp oder über den Anschluß Athens an Theben oder Sparta nach der Schlacht bei Leuktra, weiter Gütterreden, in denen das Wirken der Gepriesenen verherrlicht wird, Hymnen in Prosaform, Lobreden auf Athen und Rom, daneben freilich auch durchaus aktuelle Klage- und Festreden, Gelegenheitsreden aller Art und die sog. heiligen Reden, welche über seine jahrelang währende Krankheit unterrichten und die Darstellung der Träume und Wunder enthalten, die er in dieser Zeit erfuhr, alles weitschweifige und frostige epideiktische Erzeugnisse, mit denen er glaubte, der Rhetorik den Sieg über die Philosophie verschaffen zu können, und die trotz allem gläubigen Ernst die Krankhaftigkeit der Zeit und dieser Kunst aufs deutlichste repräsentieren. Nur darin unterschied er sich von den übrigen Sophisten, daß die Improvisation nicht seine Sache war, während andere gerade dadurch zu glänzen suchten und sich oft aus dem Hörerkreis ihr Thema stellen ließen; freilich war das nach Lukians Zeugnis häufig ein frommer Betrug, da sie ihre Verabredung mit einzelnell aus dem Publikum vorher getroffen hatten.

Auch der sich als Philosoph gebende Maximus von Tyrus schwimmt völlig im Fahrwasser der Sophistik, sosehr er sie auch abweist (27,8). Nicht nur formell verrät sich das in der Vorliebe für Parallelismen und Aufzählungen und Klangfiguren, auch inhaltlich durch die zahlreichen Beispiele und die häufigen Zitate, besonders aus Homer, sowie durch die kunstvollen an eine Anekdote, ein bekanntes Ereignis, ein Dichterwort anknüpfenden Anfänge seiner Reden, ja, er berührt sich auch nahe mit den geläufigen Themen, wenn er die Frage behandelt, ob Sokrates recht daran tat, sich nicht vor Gericht zu verteidigen. Auch wenn die Rede über die Erotik des Sokrates auf eine Musterung von Liebschaften in der Dichtung von Homer bis Anakreon hinausläuft (18), so unterscheidet sich das nicht wesentlich von Stoffen der Sophistik. Noch deutlicher ist der Zusammenhang, wenn im Widerstreit zwischen Landmann und Krieger einmal dem Krieger und dann dem Landmann die Krone zuerkannt wird (23f.). Und wenn man in dem Vortrag "Wie Schmeichler und Freund zu unterscheiden sind" die Worte liest (14,8): "Und der Ausgang der Schmeichelei: Asien wird aufgescheucht, das Meer wird gepeitscht, der Hellespont wird überbrückt, der Athos wird durchstochen", so fühlt man sich unmittelbar an die Sätze erinnert, mit denen Lukian die ganze Richtung geißelt.

Groß ist die Anzahl der Sophisten, die in des Philostratos Biographien allein bis zum dritten Jahrhundert gezeichnet werden; aber ihre Art ist immer die gleiche geblieben bis zu Himerios und zu Libanios, dem glühenden Verehrer des Kaisers Julian. Dieser glänzendste Sophist des vierten Jahrhunderts hat zwar in die Ereignisse seiner Zeit eingegriffen, eine tiefgefühlte Klage auf den Tod Julians verfaßt und manche Eingabe an den Kaiser gerichtet, er hat kulturelle und humanitäre Forderungen oder Bestrebungen vertreten, sich für bessere Behandlung der Eingekerkerten und Umgestaltung der Gefängnisse eingesetzt, aber derselbe Mann hat Schuldeklamationen und Musteraufsätze geliefert. Er schreibt eine lange Verteidigungsrede für Sokrates, die er einem von dessen Freunden in den Mund legt, als ob sie unmittelbar vor den Athenern gegen Meletos, Anytos und Lykon gesprochen wäre; er läßt nicht nur Menelaos, sondern auch noch Odysseus betreffs Auslieferung der Helena vor den Troern sprechen; er führt Neokles und seinen Sohn Themistokles in einem Redepaar vor, den einen, wie er die Rückkehr des vorher Ausgestoßenen beantragt, den andern, wie er sich sträubt, Neokles noch ferner als seinen Vater anzuerkennen, den er vielmehr in dem attischen Demos sieht; er macht in spitzfindiger Weise den ausgesprochenen Menschenhasser Timon zum Liebhaber des Alkibiades, um ein interessantes psychologisches Problem zu behandeln, das er sich selbst konstruiert hat; aber auch die üblichen Enterbungen, Klagen über zänkische Frauen, das Unglück des Parasiten, der durch sein selbständig gewordenes Pferd um eine Mahlzeit gekommen ist, weil es vor dem Hause des Gastgebers umgekehrt ist und ihn sofort wieder zurückgetragen hat, Ehebruchsaffären, kurz recht romanhafte und einer phantasievollen Erfindung verdankte Stoffe bilden den Inhalt seiner Reden. Eine große Überheblichkeit und eine Überschätzung der äußerlichen Form der kunstmäßigen Rede selbst bei völliger Nichtigkeit des Themas und seiner Ausführung bleiben das Charakteristikum dieser Sophistik, die uns unfrei, krankhaft, leer erscheint und uns kaltläßt, wenn man allein auf die Tätigkeit der Redner sehen und ihr nicht die durch sie gefürderte Pflege bestimmter Literaturgattungen wie des Romans, der Briefe, der Zusammenstellung fachwissenschaftlicher Notizen in mehr oder minder kunstvoller Einkleidung zugute halten will.

Selbst auf lateinischem Boden, obwohl die Römer doch nüchterner waren, fand diese Strömung ihre Anhänger. Fronto, den Lehrer Mark Aurels, der in seiner Zeit ein großes Ansehen genoß, hat man einen Typus der Nichtigkeit genannt, und seine Lobrede auf den Rauch oder auf die Nachlässigkeit berechtigen zu diesem Urteil, zumal er ausdrücklich den Wert solcher Reden betont und versichert, man müsse dabei wie über etwas Bedeutsames und Großartiges sprechen und auf den Ernst besonderes Gewicht legen (212 Naber). Diese Zeit würde keinen Sinn gehabt haben für den Gedanken: "Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen"; denn das Wort war ihr alles, mehr als der Inhalt.

Nur zwei unter den griechischen Sophisten nehmen eine besondere Stellung ein, Dion von Prusa (heute Brussa in Kleinasien) und Lukian. Dion Chrysostomos hat sich vom Schönredner zum stoisch-kynischen Prediger entwickelt, und diese Wandlung hebt ihn über die andern hinaus. In seiner Jugend hat er ganz wie die alten Sophisten seine Kunst im Lob minderwertiger Gegenstände und Geschöpfe bewiesen und Papagei, Mücke, Haupthaar in seinen Reden gefeiert. Er entlehnt seine Stoffe weiter aus der Heldensage, läßt alle erdenklichen mythologischen Personen auftreten, wie Philoktet, Agamemnon, Achill, Chryseis; und als Sophist verfährt er deutlich, wenn er die inneren Widersprüche der homerischen Dichtung ausführt und den Beweis liefert, daß Ilion in Wahrheit nicht von den Griechen genommen ist. Er geht jedoch dann über zu Themen wie Habgier, Verbannung, Freiheit und Knechtschaft, Glück des Weisen, Ruhmsucht, wird nicht müde, Diogenes und Herakles als Vorbild hinzustellen, hält dem Herrscher einen Fürstenspiegel vor und weist im Zwiegespräch zwischen Philipp und Alexander Homer als Lehrmeister der Könige nach. Oder er redet den Einwohnern von Alexandria ins Gewissen und spricht für Eintracht im Innern der Städte und mit den Nachbarn. Da fällt er dann schon über die alten Sophisten Hippias, Gorgias, Polos, Prodikos das abfällige Urteil (54): Sie haben viele Reden gehalten, aber Verstand war auch nicht ein bißchen darin im Gegensatz zu den Gesprächen des Sokrates; und jene sind verschwunden, nur der Name der Verfasser ist erhalten, diese dagegen, obwohl nicht von ihm veröffentlicht, sind dank seinen Freunden geblieben und werden immer bestehen bleiben. Nicht weniger spottet er (33, 4) über die Zeitgenossen: "Ihr habt, scheint mir, oft göttliche Menschen gehört, die behaupten, alles zu wissen und über alles reden zu wollen, wie es geordnet ist und welche Beschaffenheit es hat, über Menschen und Dämonen und über Götter, weiter über Erde, Himmel und Meer und über Sonne und Mond und die anderen Gestirne und über den gesamten Kosmos und über Vergehen und Entstehen und tausend andere Dinge."

Aber trotz der Abkehr von den Sophisten und trotz ihrer Verspottung, die sie ihm zurückzahlten, wenn sie ihn als Nachtigall bezeichneten (47, 16), beharrt er auch als Philosoph dennoch in ihrem Geleise. Wenn er einen Vortrag über die falsche Wertung von Armut und Reichtum hält und die Laster, die dieser im Gefolge hat, schildert, so bleibt er nicht bei einer rein nüchternen Predigt, sondern bringt dabei die anmutige Schilderung des schlichten und einfachen Lebens zweier Jäger auf Euböa und ihrer Familien an, eine herzerfreuende kleine Novelle. Nach dem Rezept der Sophisten verfährt er auch, wenn er seine Vorträge über und über mit Zitaten und Reminiszenzen bedenkt; er zitiert Homer und Pindar, bringt Gleichnisse vom Pferderennen und von Ärzten, Anekdoten von den Iliern und dem tragischen Schauspieler, zeigt das verschiedene Verhalten der Athener gegenüber den Komikern Aristophanes, Kratinos, Platon einerseits und Sokrates andererseits, stellt Homer und Archilochos zusammen und berichtet von der Ehrung, welche der Jambendichter noch nach seinem Tode durch Apollon erfahren habe, zieht Odysseus und den Freierkampf heran, vergleicht die an weichliche Vorträge gewöhnten Ohren seiner Zuhörer mit den weichen Hufen der Tiere, die auf nachgiebigem Boden aufgewachsen sind, und erzählt eine Äsopfabel von dem Mund und den Augen, die sich beklagen, daß ihnen nicht der süße Honig zuteil werde, den der Mund koste, und dann Schmerz empfinden, als man sie damit bestreicht, um dann schließlich mit Heranziehung von Archilochos und Homer den Einwohnern von Tarsos Trojas Schicksal vorzuhalten zum Beweise dafür, daß Glanz und Größe, Reichtum und Ruhm die Stadt nicht vor dem Verderben bewahrt haben, das ihr der von einer unscheinbaren Insel stammende Odysseus bereitet hat. Und diese Häufung von Zitaten und Erzählungen aller Art auf knappen acht Seiten! So ist auch der Philosoph noch immer Sophist.

Schärfer tritt der Gegensatz zu den übrigen bei dem Syrer Lukian von Samosata hervor. Er hatte zunächst als Lehrer der Rhetorik gleichfalls die üblichen Deklamationen über den "Enterbten" und den "Tyrannenmörder" gehalten; dann aber führte ihn seine angeborene Neigung zu Witz und Satire dazu, nachdem er das Menippische Vorbild entdeckt hatte, die Auswüchse ebenso des philosophischen wie des sophistischen Treibens zu brandmarken, auch die Geschichtschreibung seiner Zeit einer ätzenden Kritik zu unterziehen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Peregrinus Proteus und Alexander von Abonuteichos ihres Nimbus zu entkleiden. Wohl hühnt er (rhet. praec. 18) nicht weniger als über die Verwendung ausgegrabener Wörter, die rein attisch sein sollen und die er im Lexiphanes in drastischer Weise verwertet hat, auch über die Themen, welche den Sophisten für ihre Vorträge geläufig sind und immer wiederkehren. Doch ist trotz dieser Verspottung auch Lukian mit seiner geistigen Beweglichkeit, seinem Bestreben, alles und jedes zu behandeln, der Art der Veröffentlichung im Vortrag auf Wanderungen durch die besuchtesten Städte nicht von dem Wesen der Sophisten abgewichen. Freilich, wenn er entsprechend jenen Stoffen, die schon bei den alten Sophisten gepflegt wurden, auch einmal ein so unbedeutendes Geschöpf wie die Fliege zum Gegenstand seiner Darstellung macht, so verrät sich auch da der Spötter und Witzbold, der das Loblied in seiner Weise zu formen weiß, und so liefert er ein zierliches Kabinettstück von Geist und Anmut; es ist zu bedauern, daß wir Dions Rede über die Mücke nicht dagegen halten können.

Den beiden kann man Apuleius mit der "Apologie", seiner Verteidigungsrede in jenem gegen ihn wegen Zauberei angestrengten Prozeß, an die Seite stellen. Auch in den mit unglaublichem Zuspruch bedachten Prunkreden (Flor. 9), deren Auszüge uns in den Florida vorliegen, erweist er sich ja völlig als Gefolgsmann der Sophisten, wennschon er sich den Ehrentitel eines Platonischen Philosophen zulegt und in einem besonderen Vortrag das Daimonion des Sokrates, also ein rein philosophisches Th ema, erörtert hat. Seine Neigung zur farbigen Ausschmückung kennzeichnen Bilder und Vergleiche, wie die breit ausgemalte Schilderung des Adlers, der hoch in den Lüften schwebt und dennoch mit seinen scharfen Augen die Beute erspäht (2); er führt das trefflich ausgeröstete Schiff vor, das ohne den kundigen Steuermann doch am Riff zerschellt (23), oder den Arzt, der sich um die äußere Pracht des Gebäudes, in welchem der Kranke weilt, nicht kümmert, sondern ihn selber untersucht und ihm den Puls fühlt (93), auch den Besitzer eines unfruchtbaren Gutes, der vom Nachbarfelde stiehlt, was ihm fehlt (11); er vergleicht die Stimmung beim Eintritt in eine besonders bedeutende Stadt mit der Andacht an heiliger Stätte (1). Er bringt Zitate aus Plautus, Virgil, den Tragikern, auch ein Wort des Sokrates (2), er zählt die ver schiedenartigen Stimmen einzelner Tiere auf (13.17), gibt eine Darstellung vom Kampfe der Schlangen und Elefanten miteinander (6), er malt uns den Papagei (12) mit seiner bunten Federpracht und seiner Fähigkeit zu sprechen, wie er andererseits die Inder und ihre Bevölkerungskasten beschreibt (6). Von einer geographischen Schilderung der Insel Samos ausgehend (15), schildert er die dort befindliche Statue des Bathyllos, berichtet von dem Tyrannen Polykrates, von Pythagoras, Pherekydes und anderen Lehrern des Pythagoras und spricht von Platons Pythagoreertum. In das gleiche Gebiet gehört, was er über den Prozeß des Protagoras und seines Schülers Euathlos (18), die sich durch spitzfindige Dialektik zu überbieten suchten, und im Gegensatz dazu über den Lehrvertrag zwischen Thales und Mandrolytos(18) erzählt, auch der Bericht über den Sophisten Hippias und dessen Kunstfertigkeit und Handgeschicklichkeit (9) sowie über Krates, seine Wandlung zum Kynismus, seine Ehe mit Hipparche (14) und sein Wirken in Athen (22). Auch Literarhistorisches kommt zur Geltung; so nennt er Vertreter der verschiedenen Literaturgattungen (20), gibt eine Darstellung von Philemons Tod und sucht dessen Komödien dabei eingehend zu charakterisieren (16). In die Mythologie führt der Streit des Marsyas mit Apoll (3), in die Kunstgeschichte die Angabe der drei Künstler, denen Alexander allein gestattete, seine Statue oder sein Porträt zu bilden (7). Auch von dem Flötenspieler Antigenidas (4) hüren wir und von dem Arzt Asklepiades (19) und der Rettung eines Scheintoten durch ihn vor der Gefahr, lebendig begraben zu werden.

So zeigen die Überreste dieser Reden die charakteristischen Eigenschaften sophistiseller Vorträge in der Ansammlung von Beschreibungen, wissenschaftlichen Notizen aus den verschiedensten Gebieten, aus Naturwissenschaft, Geographie und Literatur, Erzählungen aller Art, wobei das Anekdotenhafte stark überwiegt; alles dient dem Zwecke zu unterhalten und erinnert an die von Lukian erhaltenen Vorreden, bei denen irgendeine interessante Tatsache zur Einleitung ausgeführt wird, um dann mit einem gewissen Sprunge zum eigentlichen Thema - erzugehen.

Aber in den Florida liegen uns nur Bruchstücke vor, und auch die längeren Stüke, die Danksagung f- ür eine dem Redner gewidmete Statue und die Einleitung zu einem Äskulaphymnus, sind doch nur ein Torso. Vollständig dagegen besitzen wir die Apologie, deren Ausnahmestellung gegener anderen nichtigen Erzeugnissen der Sophistik sich nat- ürlich schon dadurch ergibt, daß es sich um eine Gerichtsrede handelt, die innerlich gehaltvoll sein muß und so das Inhaltsleere und Phrasenhafte reiner Prunkreden abstreift. Trotzdem aber zeigt sie völlig den Charakter einer sophistischen Rede. Gewiß kann auch ein Teil des Unterhaltenden darauf zurückgeführt werden, daß der Redende sich alle Kunstgriffe der Rhetorik zu eigen macht, wie, wie sie auch sonst vor Gericht üblich sind, um den Hörer -- man muß sagen -- zu amüsieren, wie Cicero etwa in der Rede für Murena sich in Verspottung juristischen Formelkrams und in ironischer Ablehnung des starren Stoizismus ergeht. Dahin gehören die Wortspiele, die zu Witzen verwandt werden und sich manchmal geradezu zum Kalauer steigern. Harmlos ist es noch, wenn "sceletus" dem "scelestus" gegenübergestellt (63), wenn mit der doppelten Bedeutung des Wortes "oppido" als Substantiv und als Adverb gespielt (62), wenn "litterae" im Sinne von Brief und von literarischer bildung genommen wird (86) oder wenn ein Gegensatz gebildet wird, den wir etwa wiedergeben können: "Wer zur Beschuldigung fähig ist, wird auch zur Entschuldigung fähig sein" (perorare -- exorare 101), und wenn zum Schluß dem Vorsitzenden gegenüber mit den Worten "Ehrfurcht" und "Furcht" gespielt wird (revereri -- vereri 103). Auffälliger sind folgende Stellen: Es sollen nach der Behauptung der Ankläger ein Knabe und eine Frau infolge der Zauberei zusammengebrochen sein; der Redner bemerkt, daß vielmehr die Verleumdung zusammengebrochen ist (caducis -- caducas 51), und fährt dann fort: "Du bist vielmehr fallsüchtig, da du mit so viel Verdächtigungen hereingefallen (caducus -- cecidisti 52) bist."

Hat Crassus, ein übler Zeuge, aus dem Ruß an den Wänden und aus Federresten in seinem Hause angeblich schließen können, daß man dort in seiner Abwesenheit magische Handlungen vorgenommen habe, so wird der Name Crassus -- wenigstens ist das meine Vermutung zu der verderbten Stelle -- zur Witzelei benutzt, wenn es heißt (60), er habe krassen Dunst vorgemacht. Die Federn, die er gefunden hat, müssen wohl von Blei gewesen sein, da sie noch dort lagen, als Crassus von Alexandria zurückkam (plumae -- plumbeae 58). Der Ankläger Ämilianus wird mit dem berühmten Scipio Ämilianus zusammengestellt und dabei der Gegensatz Afer und Africanus zum Spotte benutzt (66). In einem Leinentuch hat der von tiefer Religiosität erfüllte und dem Mystizismus geneigte Apuleius ein zu den Mysterien gehöriges Symbol mit sich geführt, das die Gegner als Zaubermittel ausgelegt haben; so sagt er nun zu dem Vorsitzenden des Gerichts (55): "Hier könnte ich noch mit mehr Worten erörtern, wieviel Schweiß so ein einziges Schweißtüchlein Unschuldigen verursachen kann." Aber den Gipfel erreicht dieser Witz, wenn der Annahme, er habe Fische mit obszön scheinenden Namen zum Liebeszauber verwandt, entgegengehalten wird, ebenso gut könne man Steinchen für eine Blasenbehandlung verwenden, den Krebs für Geschwüre und -- mit unübersetzbarem Wortspiel -- Algen fürs Fieber, wobei man an algere "kalt sein" denken muß, und eine Scherbe (testa) zur Erlangung eines Testaments (35); und kurz vorher heißt es, unter solcher Voraussetzung könne man eine Kammuschel zum Kämmen, einen Habichtfisch zum Vogelfang, einen Meerschädel zur Totenbeschwörung verwenden (34).

Reichlich ist die Ironie zu beobachten, die Quintilian definiert als das Gegenteil behauptend von dem, was in Wahrheit gemeint ist (9, 2, 44). Ämilianus, der zu Beginn als Greis von bekannter Frechheit bezeichnet ist, hat die Anklage wegen seiner "Sittenstrenge" (severitas 66) erhoben; denn daß er sich wie die jungen Leute damit ins öffentliche Leben habe einführen wollen, ist ja nicht an zunehmen, da ihm bei seiner Unbildung die Beredsamkeit und bei seiner bäurischen Art jeder Ehrgeiz fehle, er ja auch schon mit einem Fuß im Grabe stehe. Die Vorstellung des Alten, der wie ein Jüngling sich mit einem großen Erfolg seiner Beredsamkeit den Weg zu einer glänzenden Laufbahn öffnen will, wirkt natürlich äußerst komisch. In gleicher Weise wird der sittenlose Herennius Rufinus als "gerecht und als Mann von Charakter" (homo iustus et morum 75) bezeichnet, der bestochene Zeuge und Trunkenbold Crassus als hochanständiger junger Mann (5{)). Des Redners entarteter Stiefsohn Pudens läßt sich als häufiger Besucher der Gladiatorenspiele über die Namen der Fechter, ihre Kämpfe und ihre Wunden ganz wie ein "anständiger Junge" vom Fechtmeister selber belehren (98), und wenn von der pietätlosen Art die Rede ist, mit welcher der miß ratene Sohn seine Mutter behandelt, so wird er als "bester der Söhne" (filiorum optime) oder als "braver Junge" (bone puer) angeredet (100), wie so oft in den Metamorphosen Adjektiva wie bonus, egregius ironisch gebraucht sind. Der Vorwurf, daß Apuleius einen Spiegel besessen habe, wird mit der Rüge des Censors verglichen (13) und das Pathos, mit dem er vorgebracht wurde, verspottet wenn es heißt, der Anwalt sei entsprechend der Entsetzlichkeit der Tatsache beinahe vor Entrüstung geplatzt. Hat man, um Apuleius' Wirkung von vornherein zu schwächen, erklärt, es handle sich um einen schönen und in beiden Sprachen beredten Philosophen, so wünscht er, man möchte diese "schwerwiegenden" Vorwürfe mit Recht erhoben haben (4). Zicht man ein paar Verse über ein Zahn pulver heran, das er einem Bekannten gesandt hat, so spottet er: "Das ist in der Tat ein beträchtliches Verbrechen, für Reinlichkeit des Mundes zu sorgen" (7).

Da die Gegner eine Vermögensverhältnisse berührt haben, erwidert er, man habe ihn vielleicht nicht vorgeladen, im Prozeß seine Sache zu verteidigen, sondern eine Vermögensangabe -- wir würden sagen, eine Steuerveranlagung zu machen (23); ganz ähnlich bemerkt er gelegentlich der Besprechung seiner als belastend bezeichneten Verse, man habe sich wohl in der Anklage geirrt, wenn man ihn der Zauberei beschuldige (9). Und weil man bei allem, was als gravierend angegeben wird, immer die Frage stellt: "Warum hast du das sonst getan? Warum suchst du, dir Fische zu verschaffen? Was hast du in dem Tuch gehabt?" usw., so ruft er spöttisch dagegen: "Bist du zum Fragen gekommen oder zum Klagen?" (54).

Um ihn als ärmlich hinzustellen und es so begreiflich zu machen, daß er es auf das Vermögen der Pudentilla abgesehen habe, hatte man behauptet, er sei nur mit einem einzigen Diener nach Oea gekommen, dann aber -- unklar, in welchem Zusammenhang -- , ohne an die frühere Äußerung zu denken, aus Unachtsamkeit gesagt, daß er an einem Tage drei Sklaven freigelassen habe. Er greift das auf, indem er Auskunft verlangt: "Bitte, antworte mir, wie ich von einem drei habe freilassen können, falls nicht etwa auch dabei Zauberei im Spiele war" (17). Den Philosophen als Heuchler zu entlarven, hat man auf den Besitz jenes Spiegels hingewiesen, worin man ein Zeichen des Luxus sah. "Offenbar", erwidert er, "hält man es für ein größeres Verbrechen, den Spiegel anzuschauen als die geheiligten Kultgeräte der Ceres" (13). Da man ihn wegen seir,er Abstammung aus Madaura als halben Numider bezeichnet hatte, so nennt er, ironisch parierend, des Anklägers Heimatsort das "attische" Zarath (24).

Läßt er aus seinen naturwissenschaftlichen Werken vortragen, so bittet er: "Er laubt, daß, wenn sich's lohnt, etwas aus meinen 'magischen' Schriften verlesen wird" (36). Gibt er die von ihm ins Lateinische übertragenen griechischen Bezeichnungen der Fischarten an, so meint er, dem Gegner komme das gewiß vor, als höre er ägyptische oder babylonische Zauberformeln (38). Die angeblich zur Magie verwandten Fische soll der Beklagte sich beschafft haben zu einer Zeit, als er sich in Wahrheit mitten im afrikanischen Gebirge, in Numidien, befand; offenbar sind sie dort von der Deukalionischen Flut noch übriggeblieben (41). Der großartige gegnerische Anwalt hat wegen seiner kindlichen Unschuld die Seetiere nicht mit Namen angeben können, weil diese der Bezeichnung der Genitalien beider Geschlechter entsprechen (33); denn daß der Verfasser in seinem wissenschaftlichen Werk sich nicht gescheut hat, auch Anstößiges in anständiger Weise zu benennen, hat bei jenem entsprechend seinem "sittlichen Ernst" Tadel gefunden. Damit es ihm das nächste Mal, falls er wieder Klage erheben will, nicht an den nötigen Worten fehlt, werden die Namen gegeben und die Bezeichnung noch variiert. Rechnet man die Seetiere zu den Zaubermitteln, dann muß man in Zukunft statt Merkur, Venus, Luna und Trivia vielmehr Neptun und das Gefolge der Meeresgötter anrufen (31). Der Redner beglückwünscht sich, daß man nicht weiß, daß er Theophrasts Buch über Beiß- und Stechtiere und Nikanders "Mittel gegen Gifttiere" gelesen hat, sonst würde man ihn gewiß auch des Giftmordes beschuldigen (41). Besser, als daß der Gegner einen Knaben anführt, der infolge der Machinationen geistesabwesend zusammengebrochen sei, hätte er behauptet, er selber sei bei der Zauberhandlung zugegen gewesen und habe seit der Zeit den Verstand verloren (43). Der Knabe selber, der als elend und häßlich, mit Geschwören im Gesicht, stumpfsinnigen Blicks und mit klaffenden Naslöchern geschildert ist, wird ironisch bezeichnet (44): "Einen hübschen Jungen habt ihr euch ausgesucht, den jemand zum Opfer hinzuziehen, dessen Haupt man berühren, den man mit reinem Gewand umhüllen, von dem man eine Antwort erwarten möchte."

Das Kapitel 47 ironisiert dauernd die Tatsache, daß man fünfzehn Sklaven als Zeugen für vorgenommene Zauberhandlungen verlangt hat, freilich ohne ihre Aussage dann wirklich zu fordern: "Wenn du mich wegen Gewalttätigkeit belangt hättest, wieviel Sklaven würdest du dann verlangen? Seltsamer Widerspruch: Die fünfzehn wissen etwas, und es ist doch etwas Geheimes! Oder es ist nichts Geheimes und trotzdem zum Zauber gehörig! Eines von beiden mußt du einräumen: Entweder es handelt sich um nichts Unerlaubtes, da ich so viel Alitwisser nicht gescheut habe, oder es handelt sich um etwas Unerlaubtes, dann hätte ich nicht so viele darum wissen lassen dürfen. War's denn etwa eine Hoch zeit oder sonst eine Feier oder ein Gelage? Bildeten die fünfzehn Sklaven etwa das Fünfzehnmännerkollegium für die Vornahme von Opfern? Oder brauchte ieh eine so große Zahl, um die Söhneopfer länger festzuhalten? Aber das sollen doch nur Hühner gewesen sein." Und nun folgt die Hauptpointe: "Sollten die Hühner etwa die Weihrauchkörner zählen, oder sollten sie den ja an sich schon fallsüchtigen Knaben zu Boden werfen?" (47). Da aber nicht nur ein Knabe, sondern auch eine Frau niedergestürzt sein soll, so hat man offenbar einen Ring kämpfer, nicht einen Zauberer verklagen wollen (48). Den Klagepunkt wegen des Linnentuches, in welchem irgend etwas zum Zauber Gehöriges verborgen gewesen sein soll, faßt der Redner zusammen (53): "'Weil ich nicht weiß, was darin war, behaupte ich, daß es zum Zauber gehörte; glaube mir also, was ich sage, weil ich sage, was ich nicht weiß!' O welch herrliche Beweisführung, die ganz offenkundig die Anschuldigung widerlegt!" Und gleich darauf: "Zauber dinge waren darin verborgen; darum habe ich's natürlich um so nachlässiger auf bewahrt und ausgelegt, damit es jeder einsehen und untersuchen, ja, wenn er Lust hätte, auch mitnehmen könnte" (53).

Crassus hat das Zeugnis über die in seinem Hause befindlichen Federn und Rauchspuren abgelegt, obschon er zu jener Zeit in Alexandria war; hat er etwa in der Kneipe dort die Federn aufgelesen, wie sie herangeflogen kamen? Und wenn er den Rauch seines Hauses von dort hat sehen können, so hat er mehr Glück gehabt als Odysseus, der sich umsonst danach sehnte, auch nur den Rauch seiner Heimat aufsteigen zu sehen (57). Wenn er aber aus so weiter Ferne riechen konnte, was daheim vorging, so hat er offenbar einen besseren Geruchssinn als Hunde und Geier (57). Woher wußte der Sklave des Crassus, daß der Ruß an den Wänden von nächtlichen Handlungen herrühre? Ist der Ruß des Nachts etwa schwärzer und unterscheidet sich dadurch von dem bei Tage? (58). Und weshalb wird nur ein schriftliches Zeugnis des Crassus vorgelegt? Wo steckt er? Ist er vielleicht, weil ihm sein Haus jetzt mißfiel, wieder nach Alexandria gereist? Oder wäscht er vielleicht seine Wände ab? (59). In der anschaulichen Schilderung von dem unzüchtigen Treiben im Hause des Herennius Rufinus, der als der Verderber des jüngeren Sohnes der Pudentilla hingestellt wird, hören wir, wie nach Verabredung zwischen Mann und Frau die Liebhaber zu ihr eingelassen werden und dann, falls sie nicht genug gezahlt haben, vom Manne überrascht, sich dazu verstehen müssen, eine Schuldverpflichtung zu unterschreiben: "Sie werden auf ein gegebenes Zeichen als Ehebrecher abgefaßt, und gerade als ob sie zum Lernen gekommen wären, dürfen sie nicht eher fortgehen, als bis sie etwas geschrieben haben" (75).

Voller Ironie ist auch das Kapitel über das Alter der Pudentilla (89), das der Ankläger absichtlich irgendwie übertrieben habe, wenn er von sechzig Jahren gesprochen hatte; man möchte nicht einmal annehmen, daß er ihr wirklich ein so hohes Alter zugeschrieben hatte, sondern eher, daß er behauptet hatte, ein Zauberer wie Apuleius könne sich auch ein sechzigjähriges Weib zu eigen machen. Aber der Redner klammert sich an diese sechzig Jahre: "Er soll fünfundfünfzig nachweisen, nun, dann hat er fälschlich ein Lustrum zu viel angegeben. Aber das genügt nicht, ich will freigebiger mit ihm umgehen, er hat ja auch Pudentilla viele Jahre geschenkt; so will ich ihm zehn wieder zurückgeben. Mezentius" -- so wird der Kläger wegen seiner Gottlosigkeit nach der zum Typus gewordenen Person aus Virgils Äneis genannt -- "ist mit Odysseus in die Irre gegangen", der bekanntlich zehn Jahre nach der Einnahme Trojas umherirrte, ehe er die Heimat erreichte; "so soll er wenigstens nachweisen, daß die Frau fünfzig Jahre alt ist. Wozu viel Worte! Ich will ihn als einen Wucherer ansehell, der das Vierfache fordert, ich will die fünf Jahre zweimal verdoppeln, ich will zwanzig nuf einmal abziehen. Laß doch, Maximus, die Konsuln nachrechnen, daml wirst du, wenn ich nicht irre, finden, daß es kaum mehr als das vierzigste Lebensjahr Pudentillas ist, das jetzt abläuft." Und dann geht der Angeklagte auf die Fingerstellungen über, mit denen man die Zahlen anzudeuten pflegte, bei denen dem Gegner anscheinend ein Irrtum begegnet ist, um schließlich auch noch die Möglichkeit zu erwägen, er möchte für Pudentilla dreißig Jahre angenommen und dabei versehentlich für jedes Jahr beide Konsuln gezählt haben. So nimmt der Redner jede manchmal gewiß nur nebensächliche Bemerkung der klagenden Partei auf, um daraus Kapital zu schlagen für seine witzigen und ironischen Ausführungen.

Die Ironie steigert sich jedoch auch unmittelbar bis zur Verspottung und Verunglimpfung des Anklägers wie auch seines Anwalts und der übrigen Gegner. Hat man Apuleius, um vor ihm zu warnen, als schön und sehr beredt bezeichnet, so werden die Worte nicht nur durch ein eingeschobenes "Man denke, welch Greuel!" ironisiert, sondern es wird dem feindlichen Anwalt entgegengehalten: "So hat Tannonius Pudens seine Anklage begonnen, er, der wahrhaftig nicht sehr beredt ist" (4), wie ihm auch im folgenden sein Stammeln vorgeworfen wird (34). Der Oheim des jungen Pudens ist bäurischer als die Virgilischen Schaf- und Rinderhirten, plump und ungebildet, aber, wie dann ironisch hinzugesetzt wird, nach seiner Ansicht sittenstrenger als die alten Serraner, Curier und Fabricier (10). Platonische Verse zu verstehen, reicht seine Fassungskraft nicht (10); er gleicht wegen seiner Häßlichkeit und des verzerrten Gesichtes der Maske eines Thyestes (16); seine Garstigkeit hat ihm auch den Beinamen Charon eingetragen, den er freilich auch deshalb verdient, weil er so vielfach seine Verwandten zu Grabe trägt (23), wie er ja andererseits wegen seiner Gottlosigkeit ein Mezentius genannt wird (56). Alle Schrecken und alles Grauen der Nächte wird auf ihn herab gewünscht, der schon mit einem Fuß im Grabe steht (64) und als Klotz und Stumpf bold beschimpft wird (66).

Besonders verhöhnt wird der Zeuge Crassus als Trunkenbold und Schlemmer, der schon am frühen Morgen berauscht ist, der seinen Rausch bei Tage ausschläft und deshalb nicht persönlich vor Gericht erscheinen kann, dessen Atem stets nach dem genossenen Wein stinkt; er wird uns gezeichnet mit seiner ausnehmenden Häßlichkeit, ohne Bart- und Haupthaar, mit tränenden Augen, breitem Maul, speicheltriefenden Lippen, zitternden Händen, mißtönender Stimme (59). Nicht weniger richtet sich der Angriff des Redners gegen Herennius Rufinus, der nach dieser Darstellung die Triebfeder des ganzen Prozesses gewesen ist, weil er seinen Schwiegersohn Pontianus, den älteren Stiefsohn des Apuleius, umgarnt hatte und aus Angst um die Erbschaft der Pudentilla deren Mann aus dem Wege räumen wollte (74); alle möglichen Schimpfwörter hageln auf ihn ein, aller Betrügereien wird er für fähig erklärt; wie immer bei solchen Beschimpfungen -- man denke daran, wie Demosthenes den Äschines und seine Familie schmäht, seine Mutter gleichfalls als Dirne hinstellt und ihm ehenso seine Schauspielertätigkeit vorhält, oder an die gemeinen Angriffe in der Ciceroinvektive (1, 2; 2, 1) und in der Erwiderung (5, 13) -- so wird auch Herennius Unzucht in der Knabenzeit zur Last gelegt, seine schauspielerische Tätigkeit in der Jugend als weichlich und ungebildet abgeurteilt, dann folgt die Schilderung seines jetzigen Verhaltens als Bankrotteur, als Verschwender und Schlemmer, als Kuppler seiner eigenen Frau, wobei die Form der Wiederholung angewandt ist (75), die Quintilian (9, 3, 29) in diesem Fall als besonders wirksam betrachtet: "Mit ihm selber -- ich lüge nicht -- , mit ihm selber, sage ich, treffen sie meistens die Verabredung wegen der Nächte seiner Frau." Schließlich aber, da die alternde Frau nicht mehr zu reizen vermag, muß die Tochter heran, die bei verschiedenen reichen jungen Männern herumgeboten ist, endlich einem verlobt war, von ihm aber, als er ihrer satt war, im Stich gelassen wurde, dann dem älteren Stiefsohn des Apuleius, Pontianus, vermählt ist und mit geschminktem Mund und Wangen, frech um sich blickend, auf einer von acht Sklaven getragenen Sänfte großspurig in dessen Haus eingezogen ist mit einer Mitgift, die bis auf Heller und Pfennig nur geborgt war.

Aber all das entspricht vielleicht auch dem Charakter einer gewöhnlichen Gerichtsrede, obwohl auch da schon hin und wieder die Gelehrsamkeit oder die Neigung, literarische Beziehungen hereinzubringen, mitspielt. Auch die sophistische Beweisführung und die Freude, den Gegner durch kunstvolle Schlußfolgerungen ad absurdum zu führen, ist ihr ja nicht fremd. So entkräftet Apuleius den Vorwurf wegen des Spiegels nicht etwa sofort dadurch, daß er auf seine wissenschaftlichen optischen Forschungen hinweist, sondern er legt dar: Der Besitz des Spiegels beweist gar nichts; denn es ist deshalb nicht gesagt, daß er sich vor demselben auch schmückt; wenn er ein Schauspielerkostüm besäße, würde sich daraus etwa ergeben, daß er sich damit ausstaffiere? Andererseits kann man vieles nicht im eigenen Besitz haben und doch gebrauchen (13); so wird der auch von Ari stoteles betonte Gegensatz zwischen KTH=SIS und XRH=SIS verwertet (13). Ähnlich verfährt der Redende bei dem Anklagepunkte, daß er Fische für Geld von Fischern erworben habe (99). Ja, sollte er sie etwa von Goldstickern oder Zimmerleuten erwerben? (Die herausgesuchten Gewerbe verstärken das Witzige.) Oder zeigt sich die verbrecherische Absicht darin, daß er sie sich für Geld verschafft hat? Natürlich", setzt er spöttisch hinzu, "wenn ich sie zur Mahlzeit haben wollte, hätte ich sie mir umsonst besorgt." Warum macht man ihm dann nicht auch zum Vorwurf, daß er Wein, Kohl, Obst, Brot für Geld eingehandelt hat, und schließt daraus, daß dies zu Zauberzwecken geschehen sei? Also weder der Erwerb von den Fischern noch der Kauf für einen bestimmten Preis liefert den Beweis für die Verwendung der Fische zu magischen Handlungen; mit demselben Recht könne man übrigens -- und da überschlägt sich die boshafte Witzelei förmlich -- Taucher, Delphine und Krabben für Zauberer erklären, ebenso alle Schlemmer, die Fische für teures Geld kaufen, ja, die Fischer selber, die kraft ihres Berufes alle, Sorten von Fischen sich verschaffen (32). Und nun erst rückt der Redner mit der Erklärung heraus, daß ihn wissenschaftliche Forschung geleitet hat. Er kommt aber auf den Punkt noch einmal zurück: "Wie kann die Zerlegung eines Fisches für einen Wissenschaftler ein Verbrechen sein, die jedem Fleischer und Koch freisteht? Klagst du mich an, weil er roh war? Wenn ich einen gekochten aufgeschnitten und ihm die Leber entnommen hätte, wäre das dann kein Verbrechen? Oder darf der Opferschauer die Leber untersuchen, der Forscher nicht?" Und dann wird Aristoteles als Vorbild angeführt (41).

Am stärksten aber tritt dies Spielen mit sophistischer Argumentierung bei der eigentlichen Besprechung der angeblichen Zauberakte hervor, wenn den Gegnern nachgewiesen wird, daß sie unmöglich selber an Zauber glauben können. Gegen einen Meuchelmörder kann man sich schützen, indem man sich mit einem Gefolge umgibt, gegen einen Giftmischer, indem man sich beim Essen vorsicht, gegen einen Dieb, indem man wachsam ist. Aber wie soll man sich gegen einen Zauberer schützen? Wenn man es also wagt, jemand wegen Zauberei anzuklagen, so zeigt man dadurch deutlich, daß man selbst nicht daran glaubt (26). Das gleiche Verfahren wie bei dem Spiegel, den Fischen und in gewissem Grade auch bei dem Symbol im Leinentuch befolgt der Redende auch bei Erörterung des Briefes der Pudentilla (79 f.), aus dem die Gegner in rabulistischer Weise unter Fortlassung des übrigen den ironisch gemeinten Satz: "Jetzt bin ich von ihm bezaubert worden und deshalb in Liebesleidenschaft versetzt" aus dem Zusammenhang herausgerissen und als angebliches Geständnis der Betroffenen zum Hauptargument gemacht hatten. Da fühlt sich der Redner auf der Höhe seiner dialektischen Widerlegung. Auch hier begnügt er sich nicht, was so einfach gewesen wäre, durch Vorlesen des ganzen Abschnitts die Lächerlichkeit und Hinterlist der Beweisführung aufzuzeigen, sondern setzt erst einmal voraus, Pudentilla habe ihn dadurch wirklich als Zauberer erklärt. Was folgt daraus, wenn sie ihn auch dafür hielt? Wenn sie ihn nun als Konsul bezeichnet hätte, wäre er deshalb Konsul? Wenn als Maler, als Arzt, ja, wenn sie ihn für unschuldig erklärt hätte? Müßte man irgend etwas davon als richtig annehmen, weil sie es gesagt hat? Schließlich: War sie bei Sinnen oder nicht, als sie dies schrieb? Im ersten Fall hat sie keine Schädigung erfahren, im zweiten wußte sie nicht, was sie schrieb, also hat ihr Zeugnis keinc Geltung. "Ich bin wahnsinnig" kann nur jemand sagen, der seinen Zustand weiß; der Wahnsinn selber weiß ja nichts von sich, so wenig wie die Blindheit sich sehen kann. Also war Pudentilla Herr ihres Verstandes, als sie schrieb, daß sie des Verstandes bar sei (80). Erst nach dieser Argumentation legt der Angeklagte den Brief in seinem ganzen Zusammenhang vor, aus dem nun zweifellos hervorgeht, daß die Schreiberin in ironischer Weise die ihr gemachten Vorwürfe gegenüber ihrem Sohne vorbringt, um sie zurückzuweisen. Es ist wie das Spiel der Katze mit der Maus; der Redner wartet eine Weile und hält die Gegner mit spitzfindigen Argumenten hin, ehe er mit der Wucht der Tatsachen zuschlägt.

Doch über diese für die Apologie des Apuleius charakteristischen Züge hinaus zeigt sich die eigentliche Art der zweiten Sophistik zunächst schon in der Formgebung der Sätze, die in auffalligster Weise nach gleichmäßig aneinander gereihten oder gegenübergestellten Satzteilen, Aufzählungen mit Gleichklang oder Reim streben, noch mehr aber im Inhalt und in anderen Eigentümlichkeiten. So ist schon bezeichnend, daß der Redner seinenVortrag als Improvisation erscheinen lassen will, wozu nicht mit Unrecht der alte Erklärer Scipio Gentilis sogar Zweifel äußert, ob es Apuleius wirklich möglich war, diese umfangreiche und gelehrte Rede auch nur in wenigen Tagen zu verfassen. Man muß sich dabei vergegenwärtigen, daß Extemporieren mit zu der Kunst der Sophisten gehört, wie Lukian in dem parodierenden "Lehrmeister der Rhetoren" (20) empfiehlt: "Sieh zu, daß du niemals etwas Geschriebenes hast und nicht auftrittst, nachdem du dir die Sache überlegt hast"; deshalb ließ man sich auch von guten Freunden das Thema zur öffentlichen Rede im Hörsaal erst vorschlagen, das man zu Hause sorgsam erwogen hatte (Luk., Pseudolog. 5). Apuleius selber liefert ein Zeugnis für das Verlangen des Publikums nach einer extemporierten Leistung in dem Prolog zu der Rede über das Daimonion des Sokrates (4); auch den Übergang von dem griechischen zum lateinischen Vortrag motiviert er dort (5) durch die Zurufe des Publikums. So nimmt er auch hier Bezug auf das Lachen, das über den Vorwurf wegen des Zahnpulvers ausbricht (7), nicht minder auf die entrüstete Kundgebung der Zuhörer wegen des angeblichen Skeletts, das er als Werkzeug des Zaubers mit sich führen soll und das sich in Wahrheit als zierliches Götterbildnis erweist (63). Er beruft sich auf die Aufmerksamkeit, welche der Vorsitzende seinen Darlegungen schenkt (13), was freilich auch sonst üblich ist und sich auch bei Cicero findet (Flor. praef. 25 f.). Er redet den feindlichen Anwalt an und hebt hervor, wie er verstummt und nichts zu sagen weiß (46). Ebenso beobachtet er die Unruhe, welche die Aufzählung von Männern, die als Magier bekannt sind, im Hörerkreis hervorruft (91), und knüpft seine Bemerkungen daran, oder er betont die Wirkung, welche seine Ausführungen über das Testament der Pudentilla auf den Ankläger machen (99). Er fordert auch wie aus dem Stegreif aus der Zahl der Anwesenden jemand auf, den Anfang seiner in Oea gehaltenen Äskulaprede herzusagen, und macht auf die große Anzahl der sofort zur Verfügung Stehenden aufmerksam (55). Die gleiche Fiktion hält er aufrecht, wenn er die Besprechung über das im Leinentuch eingehüllte Symbol mit den Worten einleitet: "Das habe ich noch übergangen" (53), oder welm er den Gedanken, der Oheim habe gehofft, nach dem Tode des schwächlichen Pudens selber die Erbschaft der Pudentilla anzutreten, so vorbringt, als sei er von den Zuhörern darauf geführt worden: "Hm! Da erinnert ihr mich mit Recht", und dan so tut, als bereue er es, daß ihm ein solcher Verdacht überhaupt entschlüpfte, weil er mit seinem Charakter unvereinbar sei. Auch die Vorstellung, als ob ihm im Augenblick ein Zitat einfiele, spiegelt das Extemporieren vor. So werden die Platonworte über die Erziehumg der persischen Prinzen angekundigt: "Ich entsinne mich der Worte des göttlichen Mannes" (25), dann "entsinnt" er sich sogar der elf Verse aus Ennius' trockenem Lehrgedicht (Hedyphagetica, "Leckerbissen") über die Fische (39) und erinnert sich, bei Varro von der Weissagung des Knaben gelesen zu haben (42). Im ganzen sieht man, daß eine treffliche Regie Vorsorge getroffen hat, eine gute Wirkung zu erzielen, ganz entsprechend den Weisungen, die Lukian dem Rhetorenschüler gibt.

Aber die Hauptkennzeichen der sophistischen Rede offenbaren sich in der angehäuften Gelehrsamkeit. Auch Cicero hatte das Ideal aufgestellt, der Redner müsse sich eine vielfache Kenntnis aneignen, er müsse nicht nur Rccht und Gesetze beherrschen (de orat. 1,18), sondern auch Literatur und Geschichte (l58), er müsse auch aus aller Art Bildung den Reiz witziger Darstellung gewinnen (159), selbst mit allem, was die Natur angeht, müsse er vertraut sein. Damit war das Ziel der zweiten Sophistik schon aufgestellt. Diese Allgemeinbildung verrät Apuleius in seiner Apologie im höchsten Maße und macht von ihr zur Unterhaltung seiner Hörer ergiebigsten Gebrauch. Für ihn fließen ja Philosophie und Wissenschaft in eins, und wenn er vom Philosophen spricht, so tut er es im Aristotelischen Sinne und meint zugleich den Forscher, auf welchem Gebiet es auch sei. Das eigentlich Philosophische bildet nur einen Teil seines Wissens. Eine Fülle verschiedenartigster Zitate belebt deshalb seinen Vortrag. Die erotischen Epigramme Platons, ein ebensolcher Vers Solons, die bekannte Rechtfertigung, die Catull seinen lasziven Dichtungen zuteil werden läßt, und ein entsprechender Vers des Kaisers Hadrian bilden gleich den Auftakt (10 f.), auch der boshafte Vers Catulls, in welchem dem Feind ein nicht sehr appetitliches Mittel zum Zähneputzen unterstellt wird (6) und der, nach der Abweichung von der Catullüberlieferung (39,19) zu schließen, offenbar aus dem Gedächtnis zitiert ist. Cäcilius Statius (5), Afranius und des Ennius Drama Neoptolemus (12 f.), auch ein nicht zu bestimmender Komikervers (85) wird herangezogen. Auch ohne Namensnennung wird zum Schluß, um den Triumph über die Gegner zu verdeutlichen, auf einen Luciliusvers angespielt (103), der ein Bild aus den Gladiatorenkämpfen zeichnet. Aus Krates' Parodie Homerischer Verse zum Lob der kynischen Tracht wird der Anfang über den Ranzen vorgetragen (22). Ein Menanderzitat dient dazu, die Eheschließung auf dem Lande als besonders segenverheißend zu empfehlen. Bei der Besprechung des Wortes "Magie" dient der schon erwähnte Abschnitt über die Erziehung der persischen Prinzen aus dem "Platonischen" Alkibiades als Zeugnis (25). Aus dem Timäus wird die Begründung der Krankheiten und besonders der Fallsucht beigebracht (49f.), auch ein paar einzelne Worte daraus werden vom Redner verwendet (41), wie er auch die Briefe benutzt (64). Platon steuert überhaupt viel zur Abwechslung bei. Sein Parmenides dient als Beleg für Zenons Schönheit (4), das letzte Buch der Gesetze für die Auswahl von Weihgeschenken an die Götter (65), und dabei wird der Hörer geradezu feierlich auf die eigenen Worte des greisen Platon vorbereitet, die man nur gehobenen und aufmerksamen Herzens vernehmen darf. Die Existenz gewisser göttlicher Wesen, die in der Mitte stehen zwischen den Menschen und den eigentlichen Göttern, wird aus dem Gastmahl erwiesen (43), dem auch die ausführliche Erörterung über die doppelte Liebe, die Aphrodite Pandemos und Urania, entnommen ist (12). Der Charmides wird zitiert für den Magier Zalmoxis (26), der Phädrus für den Idealismus des Anhängers der Platonischen Schule, dessen Seele hoch in Himmels räumen schwebt und am Anblick des Göttlichen sich erfreut (64). So prunkt der Redner vor seinen Zuhörern mit einer umfassenden Kenntnis der Werke Platons, aus denen er anscheinend mit Leichtigkeit Gedanken, Sätze und Worte in seine Darlegung einstreut. Aus Aristoteles' Problemata wird die Prognose über Heil barkeit der Epilepsie angeführt und Theophrasts Buch darüber wenigstens gestreift. Von Pythagoras hören wir das bekannte Wort, daß nicht aus jedem Holz ein Apoll zu schnitzen sei (43). Zaubermittel werden aus Virgil wie aus Lävius belegt (30), auch Homers Zusammenfassung der FA/RMAKA aus Ilias und Odyssee zitiert (31). Einen für die römische Literaturgeschichte wertvollen Beitrag bildet das Stück aus Ennius' Hedyphagetica (39). Der alte Cato tritt auf (17) mit einem Abschnitt aus einer Rede, Varro mit einem Bericht über wunderbare Weis sagungen (49).

Doch auch abgesehen von diesen wörtlichen oder dem Inhalt nach wieder gegebenen Zitaten verfügt Apuleius über eine beträchtliche Literaturkenntnis in der Apologie. Neben Anspielungen auf Homerische Szenen wie den Fischfang der Gefährten des Menelaos (32), die Öffnung des Äolusschlauches (55), den Aufenthalt des Odysseus bei Kalypso (57), auf Euripides' Phädra und den fingierten Brief (79), auf die Virgilische Mezentiusepisode (56) sind zahllos die sonstigen Erwähnungen literarischer Persönlichkeiten und Werke; man sieht, daß der Redende sich mit seiner Gelehrsamkeit brüstet. Aristoteles, Theophrast, Eudemos und Lykon werden im Verein angeführt mit zoologischen Schriften, bei Aristoteles auch einige Titel hinzugefügt (36), ebenso an anderer Stelle Nikan ders Theriaka neben Theophrasts inhaltsverwandten Büchern erwähnt (41). Anakreon, Sappho, Alkman, Simonides oder Bakchylides werden zwar nicht namentlich genannt, aber durch ihre Herkunft gekennzeichnet, was den Eindruck der Gelehrsamkeit noch erhöht (9). Theokrit wird mit Homer und den Orphika zu sammen angeführt (30). Anaxagoras, Lenkipp, Demokrit treten im Reigen als der Götterverachtullg beschuldigt auf (27) im Gegensatz zu den Verfechter religiöser Gesinnung, Epimenides, Orpheus, Pythagoras, Ostanes sowie Empedokles, dem Verfasser des Söhnegedichtes *KAQARMOI/, Sokrates und Platon (27). Als Demosthenes' Lehrer werden Platon und der Dialektiker Eubulides genannt (15). Die Namen von Vertretern der magischen Literatur schüttet der Redende nur so aus über seinen erstaunten Hörern, die schon die Fremdartigkeit mancher dieser Namen wie geheimnisvolle Zaubersprüche berührt: Carmendas, Damigeron, Moses, Iannes, Apollobex, Dardanos, Zoroaster, Ostanes (90). Als Ideal der Schönheit werden Pythagoras und der Eleate Zenon genannt (4). Von Sophokles wird erzählt, wie er durch Vorlesen seines Dramas "Ödipus auf Kolonos" vor Gericht den Antrag auf Entmündigung wegen Altersschwachsinns entkräftet habe (37); aber auch da bringt der Verfasser sein Wissen an, wenn er die belehrende Bemerkung anknüpft, der Dichter sei Rivale des Euripides gewesen und habe ihn noch überlebt, sowie er es für nötig hält hinzuzufügen, daß Pythagoras sich zuerst als Philosoph bezeichnet habe. Ein Überblick über das Debut einiger jugendlicher Redner, die sich damit die ersten Sporen im öffentlichen Leben Roms verdienen wollten, M. Antonius, T. Albucius, P. Sulpicius, L. Fufius, C. Curio, wird angebracht, freilich mit mehrfachen Irrtümern, so daß klar ist, daß der Vortragende sich auf sein Gedächtnis verlassen hat (66).

Einen Sammelpunkt der Gelehrsamkeit finden wir in der Charakteristik der berühmtesten Redner und Schriftsteller, wenn Cato, Lälius, Gracchus, Cäsar, Hortensius, Calvus, Sallust, Cicero mit einem substantivischen Schlagwort durchaus entsprechendgezeichnet werden, wenngleich wir für Cäsar eine andere Eigenschaft als die Wärme erwarten würden (9.5); Quintilian (10,1,114) hebt die kraft und Lebhaftigkeit ebenso wie die wunderbare Eleganz seiner Rede hervor. Für die Literaturgeschichte aber müssen wir Apuleius auch dankbar sein, daß wir durch ihn die wahren Namen der Schönen erfahren, die den Elegikern Catull, Ticida, Properz, Tibull Lust und Leid der Liebe brachten (10). Auch der in der gelehrten Virgilerklärung gegebenen Deutung der Personen aus der zweiten Ekloge auf den Dichter und den Sklaven Pollios schließt er sich an, wie er andererseits Lucilius tadelt, weil er kein Pseudonym wählte, um die geliebten Knaben zu be zeichnen, und sie dadurch in den Augen der Mitwelt bloßgestellt hat (10). Aus der Jurisprudenz wird auf das Zwölftafelgesetz Bezug genommen (47) sowie auf die Lex Iulia de maritandis ordinibus (88).

Daß der Platonische Philosoph Persönlichkeit und Lehren der Philosophen, auch abgesehen von einfacher Namensnennung und Zitaten, anzubringen bemüht ist, versteht sich von selbst; kämpft er doch nicht nur um die eigene Stellung, sondern auch um die Ehre und das Ansehen der Philosophie in aller Welt, die in seiner Person mit gefährdet ist und die durch jede aufklärende Mitteilung über Wesen und Gedanken ihrer Vertreter in den Augen unge bildeter Laien gehoben und vor böswilligen Verdächtigungen nach seiner Ansicht geschützt wird. So berichtet er, daß bei Pythagoreern und Orphikern Wollkleidung verpönt ist, weil aus tierischen Produkten hergestellt, und von ihnen nur Leinen getragen wird (66). Er führt die Mahnung des Sokrates an die Jünglinge an, oftmals das eigene Bild im Spiegel zu betrachten, damit sie, wenn Schönheit sie auszeichnet, sich dessen durch edles Verhalten würdig erweisen und mit der äußeren die Schönheit der Seele verbinden, im Falle der Häßlichkeit aber diese durch Bildung auszugleichen bemüht sind und so den äußeren Mangel durch innere, moralische Werte ersetzen (1,5). Besonders ist es natürlich Platon, auf den er immer wieder Bezug nimmt. Die große Vertrautheit mit dessen Philosophie offenbart sich in den angeführten, zum Teil umfangreichen Stellen aus den Werken des Meisters oder denen, die dafür galten. Freilich spielen dabei, wie wir sahen, die bekanntesten Tatsachen, der Dämonenglaube und der Gegensatz zwischen himmlischer und irdischer Liebe, die Hauptrolle; über die Mittler zwischen der Gottheit und den Menschen hat Apuleius ja auch in dem eigenen Vortrag über das Daimonion des Sokrates gesprochen und natürlich in dem allerdings etwas mangelhaften Abriß der Platonischen Lehren (de Plat. 1,11 f.). Eine Stelle der Briefe regt ihn zu einem begeisterten Hymnus im erhabensten Pathos auf den König des Weltalls an, den Erzeuger der Seele, den Erhalter aller Lebe wesen, den ständigen Schöpfer seiner Welt, der nicht durch Zeit noch Ort noch irgendeinen Wechsel beschränkt ist, für wenige zu ergründen, für keinen zu künden; so wirkt sich der Platonische Einfluß bei ihm in einem tief religiösen Bekenntnis aus (64). Er beruft sich jedoch auch, ohne Platon zu nennen, auf eine Phädrusstelle (249c), wenn er dem Gegner sagt: "Wenn du die Wahrheit hören willst, Ämilianus, oder überhaupt imstande bist, das zu begreifen: Der Weise liebt nicht, nein, er gibt sich der Erinnerung hin" (12). Das ist eine deutliche Anspielung auf die erhabene Vorstellung von den Seelen, die im Gefolge Gottes die Wahrheit und die reinen Ideen geschaut haben und nun im Erdendasein sich dessen erinnern, was sie, mit der Gottheit wandelnd, einst in sich aufgenommen haben; das trifft freilich nur für den Philosophen zu, der so zur Vollkommenheit gelangt. Der Vorwurf wegen des Spiegels gibt dem Redner dann Veranlassung zu einem wissenschaftlichen Überblick über die verschiedenen Theorien der Spiegelung bei Epikur, bei Platon, bei Archytas und bei den Stoikern (15); Archimedes wird dabei wenigstens als berühmter Mathematiker und als Forscher wegen seiner Katoptrika erwähnt (16). Auch die Skeptiker kommen zu Worte; gegenüber der Aussage des Zeugen, der versichert, in dem Leinentuch sei ein Zaubergerät enthalten gewesen, beruft er sich auf die Ansicht derjenigen Philosophen, die nicht einmal das für zuverlässig halten, was sie sehen, d. h. der Skeptiker, während jener sogar das als unbestreitbar behauptet, was er nicht gesehen hat (53).

Das ganze äußere Auftreten des Apuleius und seine Tracht zeigt stark kynische Zuge, obwohl er sieh als Platoniker bezeichnet, genau wie sein Zeitgenosse Maximus Tyrius neben der Verherrlichung Platons in seinen Reden seine Verehrung für Diogenes bezeugt (z. B. 32, 9; 34, 9; besonders 36, 5). So ist es verständlich, daß Diogenes auch hier nicht nur mit dem Stoiker Zenon zusammen als Verfasser poetischer Schriften, sondern auch mit Antisthenes als Träger von Ranzen und Stab genannt wird (22). Es wird aber auch die Begegnung mit Alexander und seine Unterhaltung über die wahre Herrschaft erwähnt (22), so wie Dion dies Zusammentreffen zum Ausgangspunkt seiner Rede über die Königsherrschaft gemacht hat (4) und auch Lukian in seinen Totengesprächen (13) Diogenes und Alexander im Gespräch miteinander auftreten läßt. Wie diese Erzählung an das Anekdotenhafte grenzt, so auch die von Pythagoras (31), der den von den Fischern erstandenen Fang sofort wieder ins Meer werfen ließ. Wieweit in dieses Gebiet die Angabe gehört, daß Archimedes oft und sorgsam in den Spiegel geblickt (16) und daß Demosthenes seine Reden vor dem Spiegel eingeübt habe (15), mag dahingestellt bleiben.

Bei der Erörterung des Vorwurfs, der die Fische betraf, zeigt der Redner nicht nur, wie er bestimmte Eigenschaften festzustellen bemüht und worauf sein Forschersinn gerichtet ist, um des Aristoteles Untersuchungen fortzusetzen (40), sondern er zählt auch eine Reihe von Gattungen auf, deren schwierige griechische Namen er lateinisch wiedergegeben habe (38) und beweist dadurch sein sprachliches Interesse. Ebenso beweist er es auch durch die Erklärung des Wortes causidicus (48), besonders aber durch die längere Darlegung über die Bedeutung des Wortes magus und seine Entwicklung (25). Naturwissenschaftliche Anschauungen, wie sie der damaligen Zeit entsprachen, enthalten die Angaben über das Krokodil und die Viper; danach steigt das Krokodil aus dem Nil heraus, um sich am Ufer von einem kleinen Vogel die Blutegel aus dem Rachen picken zu lassen, die sich im Wasser angesetzt haben (8), und von der Viper berichtet der Redner ebenso wie Plinius (nat. hist. 10,170), daß sie sich durch den Leib der Mutter durchbeißt, um ans Licht zu kommen, und so deren Tod verschuldet, allerdings mit dem Zusatz "wie ich höre"; die andere Tatsache erzählt auch Herodot (2, 68), obwohl es am Nil keine Blutegel gibt. Von den Eidechsen wird nach Theophrast mitgeteilt, daß sie zu bestimmten Zeiten wie die Schlangen die Haut abwerfen, die dann als Heilmittel benutzt wird (51).

Auch geschichtliches ist zu finden. Der jüngere Scipio wird mit seinem Beinamen Numantinus und dazu noch Censorius angeführt (66), von Cyrus weiß der Verfasser, daß er halb medischer, halb persischer Herkunft gewesen sei (24). Mit der Geschichte seiner Heimat weiß er begreiflicherweise Bescheid; so berichtet er, daß Madaura zum Reich des Syphas gehört habe, nach dessen Niederlage dank dem Entgegenkommen des römischen Volkes an Masinissa gekommen und dannMilitärkolonie geworden sei (24). Er kann vom Konsular M. Antonius, von Carbo, von Manius Curius, von Marcus Cato angeben, wieviel Sklaven sie daheim oder im Felde hatten (17). Ihm ist der "bei den Alten herrschende Brauch" bekannt, nach welchem junge Leute als Staatsanwalt in bedeutenden Prozessen die Aufmerksamkeit des Volks auf sich lenkten, um sich so den Weg für die Ämter zu ebnen; er ist also mit Erscheinungen der republikanischen Zeit vertraut, die in der Kaiserzeit längst verschwunden waren (66). Von Philipp von Mazedonien und seinem Schreiben an seine Gattin vernehmen wir, als es sich darum handelt, den jungen Pudens dafür zu schelten, daß er sich nicht gescheut habe, den Briefwechsel seiner Mutter mit Apuleius vor Gericht vorzulesen, um ihre durch den Zauber bewirkte Liebes leidenschaft zu erweisen (86); die Athener dagegen waren so zartfühlend, daß sie ihres Feindes Brief an Olympias nicht verlesen ließen, als sie seine übrige Korrespondenz öffentlich mitteilten. Neben Alexander findet der Spartanerkönig Agesilaos Erwähnung, weil er jegliches Bildnis seiner Person untersagt hatte (15).

Aufzählungen und Gegenüberstellungen sind in der Apologie beliebt und dienen ebenso dazu, das Wissen des Redners ins rechte Licht zu setzen, wie auch den Zuhörern eine Abwechslung zu schaffen; daher ja auch die Häufung bei der Angabe literarischer Persönlichkeiten. So nennt er den weisen Anacharsis aus dem Lande der ungebildeten, kulturlosen Skythen neben dem bekannten Narren Meletides aus der Stadt der Klugkeit, Athen, zum Beweise dafür, daß die Heimat nicht einen Einfluß auf die Begabung der Bewohner ausübt wie der Boden auf die Güte des Weins oder des Kohls (24). Die durch ihre Verschlagenheit berühmten Betrüger Palamedes, Sisyphos, Eurybates, Phrynondas erscheinen bei ihm im Chorus, weil sie gegenüber den durch Tücke ausgezeichneten Anklägern nur Waisenknaben sind (81). Er läßt die berühmten Männer an uns vorüberziehen, die trotz ihrer Armut Großes geleistet haben: Aristides, Phokion, Epaminondas, Sokrates, Homer und bei den Römern C. Fabricius, Cn. Scipio, Manius Curius, Publicola und Agrippa, Atilius Regulus, die sich alle den Dank des Staates verdient haben (18). Er führt die sittenstrengen Römer auf, die Familien der Serraner, der Curier und der Fabricier (10), an anderer Stelle die Quinctier und Serraner (88), die schlichte Bauern waren, als sie zur Führung des Staates berufen wurden. Um zu zeigen, daß auch der Reichtum nur etwas gradweise Verschiedenes sei, stellt er Philus, Lälius, Scipio und Crassus nebeneinander (20).

Damit gerät er völlig in das Fahrwasser der Diatribe, der populären Predigt, für welche derartige typische Beispiele geläufig waren. Der ganze Abschnitt über die Armut (18 -- 21) mit ihrer Verherrlichung erinnert an gleichartige Vorträge, wie bei Dion die Herabsetzung des Reichtums (79); auch bei Lukian singt der Hahn in dem gleichnamigen Dialog (23) den Preis der Armut; und Teles läßt sie ihr eigenes Loblied anstimmen (2). Auch wenn der Verfasser es rechtfertigt, daß er seine Ehe auf dem Gut und nicht in der Stadt geschlossen hat, so macht er das zu einem kleinen Vortrag über die bessere Vorbedeutung, welche das Land bietet, und endet mit den Beispielen berühmter Römer, die nicht nur ihre Frauen, sondern sogar die höchsten Staatsämter auf dem Lande erhalten haben. So wird ihm auch das zu einem Lobe einfachen Lebens, und hier ruft er sich selber von gar zu großer Ausführlichkeit zurück (88): "Aber ich will mich bei diesem ergiebigen Stoff zurück halten, um dir nicht etwa einen Gefallen zu tun, wenn ich das Dasein im Landhaus rühme." Dem Charakter der zweiten Sophistik entsprechen Schilderungen ausmalender Art wie die Lobrede auf den Spiegel (14); denn es genügt Apuleius nicht, die wissenschaftlichen Probleme, die sich an ihn knüpfen, darzulegen, sondern er findet dabei Gelegenheit, die Vorzüge der Wiedergabe der Gestalt durch ihn hervorzuheben, als ob diese etwas Dauerndes wäre und jemals Selbst zweck sein könnte, und sie in Gegensatz zu bringen zu den Bildnissen, welche Maler oder Bildhauer oder andere Künstler verfertigen. Die boshaften Angriffe der Gegner wegen seiner Verse auf das Zahnpulver verwertet er zu einer genaueren Ausführung über den Mund und die Verpflichtung, gerade ihn sauber zu halten (7), sauberer loch als den übrigen Körper, weil er den Vorzug verdient, ob man nun jemand küßt, ob man spricht oder einen Vortrag hält oder ob man gar betet; durch ihn äußert sich die geistige Tätigkeit der Menschen, geht die Rede und strömen die Gedanken den Mitmenschen zu; ihm ist deshalb seine Stellung im Haupte zugewiesen; schließlich wird sogar das Krokodil als Musterbeispiel angeführt, das sich von einem Vogel die Zähne säubern läßt. Selbst die Ehe mit einer Witwe nutzt der Redende ohne Rücksicht auf das Zartgefühl der vielleicht anwesenden Pudentilla dazu aus, umständlich auseinanderzusetzen, wie verschieden die Vermählung mit einem jungen Mädchen und einer schon einmal verheiratet gewesenen Frau ist, wie die Jungfräulichkeit einen unwiederbringlichen Schatz darstellt, während man alle anderen Güter wiedererstatten kann, ja, wie die Verbindung mit einer Gattin, die schon früher einen Mann hatte, von weniger günstiger Vorbedeutung ist, ganz gleich, ob sie geschieden oder verwitwet ist (92). Wenn dabei nicht nur der Schmelz der Jugendlichkeit und der Reiz der Schönheit bei dem jungen Mädchen, sondern an erster Stelle die natürlichen Anlagen ihres Herzens betont werden und im Gegensatz zu der schon einmal verheiratet gewesenen Frau bei diesem die Bildsamkeit und Schmiegsamkeit hervorgehoben wird, so zeugt das ebenso von dem Einblick des Redners in die menschliche Natur wie von einer beachtlichen Innerlichkeit seines eigenen Gemüts.

Wenn schließlich zu den Aufgaben der zweiten Sophistik auch die Ekphrasis, die kunstvolle Beschreibung von Bildern, Statuen, Räumen gehört, so ist Apuleius auch dem in einer, wenn auch kurzen, so doch plastischen Schilderung gerecht geworden. Die Gegner haben behauptet, er führe ein zu Zauberzwecken dienliches Skelett mit sich; er erklärt, daß es sich in Wahrheit um eine ihm geschenkte Merkur statuette handle, die mit Gerippe und Gespenst nichts zu tun habe und die ihm als tief religiösem Menschen ein Gegenstand der Verehrung sei. Zum Beweise zeigt er sie den Anwesenden und gibt dabei eine anschauliche Darstellung von ihrem Äußeren (63). Auch das Sentenziose fehlt der Rede nicht ganz, nicht nur daß das Sprichwort "Ein Lügner muß ein gutes Gedächtnis haben" angeführt wird (69), "Von Natur", heißt es, "ist das Sprechen der Unschuld, dem Verbrechen dagegen das Verstummen zugeteilt" (11). Der Gedanke "Ce n'est que le premier pas qui coute" findet seinen Ausdruck in den Worten: "Wie ein edler Mensch, wenn er einmal gefehlt hat, sich nachher vor dem gleichen Fehler um so mehr in acht nimmt, so wiederholt der Schlechtgeartete ihn um so zuversichtlicher und vergeht sich mit um so geringerer Scheu, je häufiger er sich vergeht. Das Ehrgefühl ist wie ein Kleid; je verschlissener es ist, um so achtloser geht man damit um" (3).

Wie hier, so dienen dabei mehrfach Vergleiche zur Ausschmückung der Rede. Die Glücksgüter werden mit einem Gewand verglichen, das, um brauchbar zu sein, nur eine angemessene Länge haben darf; wie man es nachschleppt, wenn es zu lang herabhängt, und es als störend empfindet, so wird auch alles, was über des Leibes Notdurft und Nahrung hinausgeht, nur zur Last (19). Angefügt ist ein zweiter Vergleich: Gar zu große Steuerruder bringen das Schiff eher zum Sinken, als daß sie es lenkten (19). Zum Leben wie zum Schwimmen ist derjenige besser daran, der freier von Bürde ist; denn auch in des Lebens Stürmen läßt alles Schwere uns versinken, während das Leichte uns auf der Oberfläche bleiben läßt (21). Das ist völlig kynischer Predigtstil, und auch die Gedanken, die Mahnung zur Einfachheit und Genügsamkeit sind kynisch. In jener Diatribe über die Sauberkeit der Zähne wird der Mund gepriesen als Vorhof des Geistes, als Tor der Rede, als Tummelplatz der Gedanken (7); und auch hier folgt noch ein neuer Vergleich; er muß rein gehalten werden wie ein Becher für einen guten Trunk (8). Mit allen Mitteln der Rhetorik ausgeschmückt und durch kurze Gegensätze wirksam gestaltet ist der Vergleich der leichtfertigen Anklage mit einem zwar hell aufflackernden, aber rasch verpuffenden Strohfeuer (25). Der ungebildete Ankläger, der keinen inneren Wert besitzt, gleicht dem unfruchtbaren Baum, der kein Obst trägt und nur so viel gilt, wie das Holz seines Stammes einbringt (23). Die Wahrheit, die durch die Behauptungen der Gegner unterdrückt ist, taucht gleichsam aus der Tiefe wieder empor, und die Verleumdung versinkt wie in einem tiefen Schlunde (83). Das Schicksal wird dem Wildbach gleichgestellt; ebenso wie er, kann auch das Verhängnis weder gehemmt noch vorwärts getrieben werden (84). Wie Lukian in der unterhaltsamen Schrift von dem Prozeß, den das Sigma vor dem Gerichtshof der Vokale gegen das Tau anstrengt, den Buchstaben Sprache verleiht, so nimmt auch Apuleius einmal an, die Wörter, die nach den Worten der Dichter beschwingt sind, kämen herbeigeflogen (83) und beschwerten sich, daß sie vergewaltigt seien, weil sie aus dem Briefe der Pudentilla betrügerischerweise fortgelassen sind, und füllten so das ganze Forum mit ihrem Geschrei.

All diese Züge sichern der Apologie des Apuleius, ganz abgesehen von ihrer Bedeutung als Quelle für die Kultur und die religiösen Vorstellungen des zweiten Jahrhunderts, eine besondere Stellung in der Literatur der Kaiserzeit, nicht nur als Gerichtsrede, sondern auch als Zeugnis für die Art der zweiten Sophistik. Für die Verteidigung und die Abwehr der vorgebrachten Klagepunkte ist die Lebendigkeit der Darstellung und die Plastik der Schilderung, wenn er die Gegner geißelt, vor allem aber der geschickte Aufbau zu beachten. Dadurch, daß der Redner zunächst die kleinen und kleinlichen Anwürfe und Vorwürfe der Gegner, vielfach mit Ironie und Spott, abfertigt, bahnt er sich denWeg zur Rechtfertigung gegenüber den wesentlichen Punkten der Klage, der angeblichen Bezauberung Pudentillas durch magische Mittel. Wenn er schon am Ende des 27. Kapitels nach der Darlegung über die Bedeutung des Wortes "Magie" bemerkt: "Eigentlich könnte ich gut mit diesen Worten mich zufriedengeben und Schluß machen", so nimmt er von vornherein den Hörer für sich ein, der schon durch die vorhergegangenen Erörterungen im höchsten Maße unterhalten war und nun mit Spannung den folgenden lauscht, bis dann zum Schluß durch Mitteilung des Testamentes der Pudentilla der klare Nachweis geliefert wird, daß bei der Eheschließung dem Redner jeder Eigennutz ferngelegen hat, so der Anklage der letzte Halt entzogen wird und das künstliche Gebäude der Verleumdungen zusammenbricht. Und es klingt wie Siegesfanfaren, wenn der Redner, noch einmal seine Kunst beweisend, die Vorwürfe seiner Gegner zusammenfaßt und jeden mit zwei Worten zurückweist: "'Du putzt die Zähne.' Entschuldige Sauberkeit! 'Du schaust in den Spiegel.' Ist Philosophenpflicht! 'Du machst Verse.' Ist erlaubt! 'Du untersuchst Fische.' Aristoteles lehrt's! 'Du weihst ein Holzbild.' Platon rät's! 'Du führst eine Frau heim.' Ist Gesetzesvorschrift! 'Sie ist älter.' Kommt vor! 'Du bist auf Gewinn ausgegangen.' Nimm Eheurkunde, bedenke Schenkung, lies Testament!" So schmettert er die Gegner nieder; nun kann er vertrauensvoll sein Schicksal und seine Ehre in die Hände des Richters legen. Die Argumente wachsen also an Bedeutung bis zu dem Höhepunkt am Schluß.

Vermehrt ist der Reiz der Rede dadurch, daß sie das Register sämtlicher Mittel zieht, über welche die Sophistik jener Zeiten verfügt, formell wie inhaltlich, und so durch eine Fülle interessanter Mitteilungen aus Literatur, Philosophie, Naturgeschichte und Geschichte die Darstellung gewürzt wird. Selbst eine eintretende Pause, während der Diener das Buch über die Fische sucht und aufrollt, um den Anfang und bestimmte Abschnitte daraus nach Wunsch vorzulesen, nutzt der Verfasser sofort dazu aus, um durch die Erzählung von Sophokles' Vorlesung aus dem Ödipus eine Parallele zu seiner eigenen Lage beizubringen, wie er in den Florida (16) den Bericht vom Tode Philemons in gleicher Weise verwendet. Der Glanz einer alle Gebiete menschlichen Wissens umfassenden Bildung, wie sie damals möglich war, ergießt sich über die Rede, und alle Künste rhetorischer Schulung erhöhen die Wirkung. So ist die Apologie zu einer Meisterrede der zweiten Sophistik geworden, wenn auch vielleicht erst in der Bearbeitung, die der Verfasser ihr für die Veröffentlichung hat angedeihen lassen; denn ihm kam es nicht allein darauf an, sich und die Philosophie vor Gericht gegenüber jeder Verunglimpfung zu rechtfertigen, sondern fast noch mehr darauf, seine Kunst und sein Wissen vor seinen Hörern und in der Buchausgabe vor den Lesern im hellsten Licht erstrahlen zu lassen, darin ein echtes Kind jener Zeiten und ein Zeuge der Strömungen, die sie erfüllten.



















*Ich verweise im allgemeinen auf die treffliche Arbeit von P. Vallette, L'apologie d'Apulée, Diss. Paris 1908, die sich in den Gedanken mit den folgenden Ausführungen eng berührt, daneben auf die von Albrecht Dieterich gefordert Dissertation von A. Abt, Die Apologie des Apuletus von Madaura und die antike Zauberei, in: Religionsgesehichtliche Versuche und Vorarbeiten 4, 2, Gießen 1908, der diese Hauptschrift für antike Zauberei volkskundlich auszuwerten sucht, auch auf G. Misch, Geschichte der Autobiographie, 1, 3. Aufl., Bern 1949/50. Ausgabe des lateinischen Textes von R. Helm, 2. Aufl., Leipzig 1912.